Stefan Kober, 18.1.09:
…Es gibt kein Wissen über die Zukunft oder es gibt Induktion…

Peter Jaenecke, 19.1.09:
…Und du bist sicher, dass diese Behauptung auch morgen noch gilt? Und wenn ja, warum? Induktion ist die einzige Möglichkeit, zu Wissen zu kommen?...

Claus Zimmermann, 22.1.09:
Ich würde statt dessen lieber sagen: entweder wir "deduzieren" oder wir können nicht ausschliessen, dass die Erfahrung unsere Erwartung durchkreuzt.
Ich strapaziere noch mal das simple Beispiel der Beobachtung des Zusammenhangs von Blitz und Donner.

(Vorher habe ich dieses Beispiel am 1.1.09 erwähnt:
…Bei Hume ist es doch nicht eine Theorie, sondern Gewohnheit, die zu einer gedanklichen Verknüpfung von Ereignissen (oder Eindrücken, wie er sagt) führt. Nachdem wir zehnmal erlebt haben, wie auf den Blitz der Donner folgt, halten wir uns spätestens beim elften mal die Ohren zu. Andere Tiere machen es auch so. Das eine Ereignis wird für uns zum Vorboten des anderen und verschmilzt mit ihm fast. Aber nur fast, den wenn wir beides zu einem "Blitzdonner" begrifflich zusammenziehen, kann darin keine Erwartung mehr über einen zukünftigen Zusammenhang zwischen dem einen und dem anderen liegen, da wir es dann nur noch mit einer Sache zu tun haben….)

Wir können den Blitz in den Begriff des Donners einbeziehen. Dann können wir aus diesem Begriff "deduktiv" oder "analytisch" ableiten, dass der Blitz zum Donner gehört und es keine Blitze ohne Donner gibt. Aus der ursprünglichen Naturbeobachtung ist dann allerdings etwas geworden, das mit Erfahrungswissen über Naturzusammenhänge nichts mehr zu tun hat - eine sprachliche Konvention eben.
Oder wir lassen den Blitz begrifflich aussen vor. Damit sind die Weichen in Richtung Offenheit und Vorläufigkeit der Erfahrung gestellt. Wir haben uns ja entschieden, nicht auch "Blitz" zu meinen, wenn wir Donner sagen. Wir können also nicht in gleicher Weise (nur umgekehrt) den Einzelfall verallgemeinern, wie wir aus dem allgemeinen Begriff auf den Einzelfall schliessen können.
Habe ich eine dritte Möglichkeit ausser einbeziehen oder nicht einbeziehen übersehen?
Wenn nicht, zählt der Satz, von dem ich ausgegangen bin, lediglich die Möglichkeiten auf, die wir in unserer Sprache haben und ist kein rechthaberisches Dogma.
Wenn es so sein sollte, dass solche Beobachtungen in irgendeiner Weise Eingang in naturwissenschaftliche Theorien finden, wären diese doch nicht ganz unabhängig von der prinzipiellen Vorläufigkeit der Erfahrung (auch wenn man innerhalb der Theorie wunderbar von Wissen auf Wissen schliesst, womit der Laie vielleicht die Vorläufigkeit des Erfahrungswissens verbinden würde). Letzten Endes wird an Theorien ja wohl auch nur so lange festgehalten wie sie Prognosen ermöglichen, die von der Erfahrung bestätigt werden.

PJ, 23.1.09:
wenn man festlegt:
Definition: Autos sind Fahrzeuge, die auf Rädern laufen.
dann ist die Aussage: ‚Alle Autos haben Räder’ wahr aufgrund der Definition. Solche Aussagen kann man immer aus Definitionen aufstellen. Sie reproduzieren natürlich nur das Definierte und haben daher einen begrenzten Informationsgehalt; ich halte sie aber dennoch nicht bloß für eine sprachliche Konvention; vielmehr ordne ich ihnen einen ähnlichen Status zu wie etwa dem Nullelement in der Arithmetik, das man durch a + 0 = a einführt. Diese Gleichung sagt etwas über den Gebrauch der Null aus.
Was du mit dem Beispiel von Blitz und Donner sagen wolltest, habe ich nicht so ganz verstanden. Ich halte es nicht für zulässig, Einsichten, die man mit solchen einfachen, der unmittelbaren Anschauung entnommenen Beispielen gewonnen hat, auf wissenschaftliche Theorien zu übertragen. Der gleiche Fehler wird gemacht, wenn man die an Tierversuchen gewonnenen Ergebnisse unmittelbar auf den Menschen bezieht.
Natürlich kann die Beobachtung, dass der Donner auf den Blitz folgt, Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Untersuchung sein, aber man bleibt nicht bei der Aussage ‚immer wenn es blitzt, donnert es’ stehen und wartet auf eine Falsifikation. Vielmehr wird man den Donner als Schallwellen identifizieren und den Blitz als Entladungsfunken; letztere kann man auch im Labor erzeugen; man wird die Temperatur in einem Blitzstrahl messen und feststellen, dass Schwallwellen durch Temperaturschwankungen der Luft entstehen; solche Temperaturschwankungen werden auch durch Meteoriten erzeugt; man wird also prüfen, ob auch sie so etwas wie einen Donner erzeugen usw. Aus diesem ganzen Satz von unterschiedlichen Daten kann man dann eine Theorie machen, nicht bloß aus einer einzelnen oft wiederholten Beobachtung.

Eine Theorie, die sich bereits in einem Erfahrungsbereich bestätigt hat, kann in *diesem* Erfahrungsbereich nicht plötzlich falsche Ergebnisse liefern. Wie soll man sich denn das erklären? Liefert sie hingegen falsche Ergebnisse, weil ihr Erfahrungsbereich überschritten wurde, wird man sie nicht verwerfen (denn für den alten Erfahrungsbereich gilt sie ja nach wie vor), sondern man wird sie so zu korrigieren versuchen, dass sie auch auf den neuen Bereich zutrifft.
‚Prinzipielle Vorläufigkeit der Erfahrung’ halte ich für ein irreführendes philosophisches Schlagwort: Angenommen, du willst ein Fernsehgerät kaufen und der Verkäufer würde zu dir sagen: Das Gerät können Sie gerne haben, aber ich möchte Sie pflichtschuldigst darauf hinweisen, dass es nur prinzipiell vorläufig funktioniert ...

CZ, 23.1.09:
ich kann leider nicht deutlicher ausdrücken, was ich meinte. Es kam mir im Nachhinein so trivial vor, dass ich dachte, das weiss doch jeder. Keine Ahnung, was man da hineingeheimnissen kann. Es ging einfach nur darum, dass der Schluss vom Allgemeinen auf den Einzelfall seine Verbindlichkeit daher hat, dass damit nichts neues gesagt, sondern nur etwas bereits Gesagtes in anderer Form wiederholt oder entfaltet wird. Ähnlich wie der Satz "Alle Autos haben Räder" dem Satz "Autos sind Fahrzeuge, die auf Rädern laufen" nichts Neues hinzufügt, so dass er mit der Definition steht und fällt.
Geht man dagegen inhaltlich über schon Gesagtes hinaus, ist man den Beweis schuldig: hier, sieh dir selbst an, dass es so ist, wie ich sage. Und wozu sollte dieser Beweis gut sein, wenn nicht dazu, den denkbaren Fall, dass es anders ist, auszuschliessen. (Was denkbar ist, hängt ja hier von der Definition ab, nicht davon, wie schlau oder phantasievoll jemand ist.) Das ist also nicht von vornherein ausgeschlossen. Aber ich finde, dass das Blitz-Donner-Beispiel das besser ausdrückt.
Das bedeutet im Alltag natürlich nicht, dass man auch nach dem hundertsten Blitz vom Donner so überrascht wird wie beim ersten. Man hält sich im Gegenteil ganz unwillkürlich die Ohren zu und reagiert ähnlich wie bei einer schon zig mal gehörten Geschichte, die man schon auswendig kennt (aber es ist eben nicht ganz das gleiche).
Dass man nicht aus einer einzigen Beobachtung eine Theorie macht, überrascht mich nicht. Soweit sich die weiteren Beobachtungen aber auf Korrelationen von Ereignissen beziehen, lässt sich das Blitz-Donner-Beispiel sinngemäss auf jede einzelne dieser Beobachtungen übertragen.

PJ, 24.1.09:
bezüglich des Zusammenhangs zwischen Allgemeinen und Speziellen habe ich dir ja sinngemäß zugestimmt; bei meiner Anmerkung dachte ich an ein schlussfolgerndes System; hier sind solche Trivialitäten notwendiger Systembestandteil. Aber sie war in der Tat für die gegenwärtige Diskussion überflüssig.
Was du mit dem Blitz-Donner Beispiel sagen willst, ist mir noch immer unklar. Ausgangspunkt scheint die Aussage zu sein‚ ’immer wenn es blitzt, donnert es’ oder ’der Blitz ist die Ursache für den Donner’. Die Frage ist dann, inwieweit man derartige Behauptungen rechtfertigen/ begründen/ beweisen kann. Offenbar gar nicht, und deshalb, so scheinst du zu argumentieren, muss man sie nur als vorläufig betrachten usw. Auch hier stimme ich dir sinngemäß zu. Aber was folgt aus dem obigen?
Hier liegen unsere Meinungen offenbar weit auseinander. Ich halte es nämlich für unzulässig, aus Einsichten, gewonnen aus solchen isolierten Behauptungen und Beobachtungen, irgendwelche Rückschlüsse auf wissenschaftliche Theorien zu ziehen. Und warum ich dieser Ansicht bin, versuche ich die ganze Zeit zu erklären.

CZ, 24.1.09:
Wenn die vielen Beobachtungen, die in eine Theorie eingehen, diesem einen Fall strukturell ähnlich sind (z.B. die Beobachtung des Zusammenhangs zwischen Wahrnehmung des Schalls mit dem Ohr und der Ausbreitung von Schallwellen oder der Identität von Blitz und Entladungsfunken oder des Zusammenhangs zwischen Schallwellen und Temperaturschwankungen der Luft usw.), wird man dann nicht eine "Ewigkeitsgarantie" dieser Theorie mit anderen Augen sehen?
Am "anderen Ende" der Theorie, bei den Prognosen, die sie ermöglicht, ist es das gleiche. Entweder das zu Beweisende wird vorausgesetzt und die Prognose wiederholt das nur - das ist ja wohl unzulässig. Oder die Beglaubigung durch die Erfahrung ist unverzichtbar.

PJ, 26.1.09:

da bist du wieder im induktionistischen Fahrwasser. Ich lehne diese Richtung samt den aus ihr gezogenen Folgerungen ab, und ich fürchte, da gibt es zwischen uns keine Verständnismöglichkeiten.
Eine Theorie ist nach meiner Auffassung nun einmal keine Verallgemeinerung von vielen Beobachtungen; sie ist wahrheitswertneutral und kann daher weder falsifiziert noch verifiziert werden. Sie beruht auf allgemeinen Prinzipien, die keiner Beobachtung zugänglich sind. Aus diesen Prinzipien leitet man unter bestimmten Annahmen (Natur)gesetze her, und nur diese haben einen Bezug zur Erfahrungswelt. Natürlich wird man sie mit der Erfahrung konfrontieren; das geschieht aber bereits während der Theoriekonstruktion. Die Übereinstimmung der aus einer Theorie hergeleiteten Sätze mit einigen wenigen Erfahrungsdaten gilt nur als eine notwendige Bedingungen, d.h. bei Missübereinstimmung weiß man, das noch irgendetwas nicht stimmt. Bei Übereinstimmung freut man sich; mehr auch nicht, denn die Theorie ist dadurch keineswegs beglaubigt. Um eine Theorie abzusichern, muss man u. a. auch die allgemeinen Prinzipien mit in den Absicherungsprozess einbeziehen, und das ist von einem ganz anderen Kaliber als einzelne Gesetze empirisch anhand von einzelnen Daten zu überprüfen.
Ich habe vielleicht nicht deutlich genug gesagt, dass ich hier immer von einer fertigen Theorie ausgehe, welche diese Prüfungen bereits hinter sich hat. Und deswegen sehe ich keinen Grund, warum sich bei einer erneuten Überprüfung ein anderes Ergebnis ergeben sollte: Wenn einmal Schloss und Schlüssel so aufeinander abgestimmt sind, dass der Schließvorgang funktioniert, warum sollte denn die Schließeigenschaft plötzlich verloren gehen?

CZ, 30.1.09:
Für die aus einer Theorie abgeleiteten Naturgesetze ist also die Überprüfung an der Erfahrung während der Theoriekonstruktion eine notwendige Bedingung (beweist aber noch nicht die allgemeine Gültigkeit dieser Naturgesetze). Nachdem die Theorie aber alle Prüfungen überstanden hat, insbesondere die der "wahrheitswertneutralen" Prinzipien, aus denen die Naturgesetze hergeleitet werden, scheint in Bezug auf die notwendige Bedingung der Gegenüberstellung mit der Erfahrung eine gewisse Abschwächung einzutreten, die Bedingung ist vielleicht nicht mehr ganz so notwendig, wenn man die Formulierung "ich sehe keinen Grund, warum sich bei einer erneuten Überprüfung ein anderes Ergebnis ergeben sollte" so interpretieren kann. (Das hatte übrigens auch bei nicht theoretisch begründeten Alltagsprognosen niemand behauptet, nur, dass es nicht ausgeschlossen wurde.)
Über Theoriebildung kann ich mich nicht äussern. Mich interessiert nur, ob sich durch die Einführung von Variablen etwas an der Alternative "Deduktion oder Erfahrung, die man nehmen muss, wie sie kommt" ändert. (Wieso überhaupt Variable? Ich nehme an, wenn man Aussagen über noch nicht beobachtete Fälle machen will, geht das nur mit veränderbaren Grössen, die an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst werden können.)
So ein "Universalschlüssel" könnte z.B. lauten: a+b=c
Das könnte heissen, dass es erlaubt ist, "c" als Abkürzung für "a+b" zu verwenden. Wenn 2 Grössen bekannt wären, könnte die dritte - im weiteren Sinn "deduktiv" - ausgerechnet werden. Da hier aber vorausgesetzt wurde, dass c von a und b abhängig ist, kann man nicht a, b und c als selbstständig messbare Grössen interpretieren und so tun, als drücke die Formel eine beobachtete Abhängigkeit zwischen ihnen aus.
Wenn man dagegen die 3 Grössen so interpretiert, kann man nicht aus 2 gegebenen Grössen die dritte mit deduktiver Sicherheit errechnen. Man hat sich ja nicht auf ein bestimmtes Verhältnis zwischen ihnen festgelegt.
Daran scheint sich unter dem Aspekt, der mich interessiert, auch nichts dadurch zu ändern, dass 1 Formel offenbar noch keine Theorie ist.
Es geht mir nur darum, dass es mich sehr wundern würde, wenn die ewigen Wahrheiten jetzt in den Erfahrungswissenschaften ein Comeback hätten.

PJ, 31.1.09:

In gewisser Weise hast du recht; ich bin nur mit der abwertenden Formulierung nicht einverstanden. Für ein Stück Butter ist die Verpackung in Silberpapier notwendig; nachdem das Stück in der Butterdose liegt, nicht mehr. Dadurch wird aber die Verpackung an sich nicht überflüssig. Wenn ich irgendetwas ausgerechnet habe, möchte ich als erstes prüfen, ob ich mir nicht vielleicht ein Rechenfehler unterlaufen ist. Dazu dient u.a. die Gegenüberstellung mit der Erfahrung.
Was du nachfolgend schreibst, kann ich, wie schon manches aus deinen früheren Briefen, nicht recht einordnen. Warum verwendest du als Beispiel nicht ein vernünftiges Naturgesetz? Nehmen wir das Fallgesetz

s = const * t*t;

das kennt ja jeder. Nehmen wir ferner an, es wurden für bestimmte Fallstrecken die zugehörigen Fallzeiten gemessen und das Ganze in einer Tabelle T1 zusammengestellt, sie hat also die Form



s1t1




s2 t2


... ...


sktk



k ist irgendeine natürliche Zahl, es handelt sich also um endlich viele Messwerte. Die Messfehlerproblematik lasse ich hier außer acht. Wenn das Fallgesetz stimmt, muss sich, wenn man irgendeine Fallzeit aus der Tabelle in die Formel einsetzt, auf rechnerischem Weg die zugehörige in der Tabelle eingetragenen Fallstrecke ergeben. Und natürlich könnte man durch entsprechende Umformung auch aus der Fallstrecke die zugehörige Zeit berechnen.
Was muss nun geschehen, damit sich das Fallgesetz als falsch erweist. Ich gehe davon aus, dass du folgendes meinst: Man kann nicht ausschließen, dass irgendwann in der Zukunft jemand eine Messung anstellt und eine zweite Tabelle T2


s’1t’1




s’2 t’2


... ...


s’nt’n



erhält, deren Werte sich aber nicht mehr, wie oben beschrieben, wechselseitig aus dem Fallgesetz berechnen lassen. Ist es das, was du meinst?

CZ, 31.1.09:

Bei einem Beispiel kommt es doch vor allem darauf an, dass es sich gut zur Erklärung eignet. Ich hatte vorher das Beispiel des Blitzes gewählt, weil sich daran schön einfach die Folgen einer Definition "Blitz = Licht plus Knall" zeigen liessen und "a+b=c" wegen der Ähnlichkeit mit dem ersten Beispiel. Der Begriff der Elfen und Trolle hätte es aber auch getan.
Ich kann das Fallgesetz-Beispiel im Moment auch nicht recht einordnen (meiner Meinung nach ist es eine in unserem Zusammenhang unnötige Komplikation und ich fürchte, dass daran ein gewaltiger Formelapparat hängt, den Du mir auf den Kopf hauen möchtest). Auch hier wird man aber nicht ausschliessen können, was man nicht durch eine Definition ausgeschlossen hat. Oder, weniger tautologisch, auch hier sollte man zwischen begrifflich ausgeschlossenem und nicht ausgeschlossenem unterscheiden.

PJ, 31.1.09:
ich wollte dir keinen gewaltigen Formelapparat auf den Kopf hauen. In der Annahme, es gehe in unserer Diskussion um die Induktionsthematik (was aber wohl falsch ist, denn du erwähnst irgendwelche Definitionen), hatte ich den Anlauf gemacht, an einem konkreten Beispiel zu klären, was es denn eigentlich bedeutet, ein Gesetz stehe mit der Erfahrung in Konflikt. Doch das ist mir offensichtlich misslungen; damit bin ich aber mit meiner Kunst am Ende.

CZ, 1.2.09:
Peter, ich muss mich erst mal zum Fallgesetz ein bisschen schlauer machen, bevor ich dazu etwas sage. Für meine Zwecke tut es aber eigentlich auch ein fiktives Gesetz wie a+b=c. Wenn man die Variablen als unabhängig voneinander messbare Grössen interpretiert (und nur dann ist es doch ein Naturgesetz und keine Zeichenregel), würde dieses fiktive Gesetz nicht mit der Erfahrung übereinstimmen, wenn man alle drei Werte gemessen hätte und die Summe von a und b eben nicht c ergäbe.
Die Möglichkeit eines Induktionsschlusses, also der logisch zwingenden Verallgemeinerung noch so oft beobachteter Einzelfälle ("wenn einmal oder mehrfach dann immer") sehe ich ja nicht, vielleicht hatte ich mich da nicht deutlich ausgedrückt?
Ich habe den Eindruck, ich wiederhole mich nur noch. Falls es Dir ähnlich gehen sollte und sich nicht in Sachen Fallgesetz und fiktiver Nichtübereinstimmung mit der Erfahrung ein neuer Aspekt ergibt, sollten wir vielleicht eine Pause machen?

PJ, 1.2.09:
jetzt verstehe ich, wofür dein fiktives Gesetz a+b=c als Beispiel dienen sollte. Ich gehe wieder auf meinen Brief vom 31.01.09 (11.43 Uhr) zurück. Ich hätte dort auch schreiben können:
Nehmen wir das fiktive Gesetz
a+b=c
Nehmen wir ferner an, es wurden für bestimmte Größen a und b die zugehörigen Größen c gemessen und das Ganze in einer Tabelle T1 zusammengestellt, sie hat also z.B. die Form





a_gemessenb_gemessenc_gemessenProbe: c_berechnet








2 3 5 5




7 1 8 8




4 6 10 10




k ist 3 für diese Tabelle. Die Messfehlerproblematik lasse ich hier außer acht. Ich betrachte nun irgendeine Zeile aus der Tabelle T1. Wenn das fiktive Gesetz stimmt, muss sich aus jeweils zwei der drei Größen die dritte auf rechnerischem Weg ergeben. In T1 ist das der Fall; ich habe es durch die Probe angedeutet.
Was muss nun geschehen, damit sich das fiktive Gesetz als falsch erweist. Ich gehe davon aus, dass du folgendes meinst: Man kann nicht ausschließen, dass irgendwann in der Zukunft jemand neue *korrekte* Messungen anstellt und eine zweite Tabelle T2





a_gemessenb_gemessenc_gemessenProbe: c_berechnet








2 7 6 9




5 4 3 9




1 2 5 3




8 8 11 16




erhält, deren Werte sich aber nicht mehr, wie oben beschrieben, wechselseitig aus dem fiktiven Gesetz berechnen lassen. Und ich fragte: Ist es das, was du meinst?
Nach deiner letzten Mail zu urteilen, müsstest du es bejahen. Meine Darstellung weicht ja von deiner nur dadurch ab, dass ich die Tabellen explizit erwähnen. Das ist aber ein wichtiger Punkt, denn in der Wissenschaftstheorie neigt man dazu, T1 zu übersehen; man stürzt sich gewissermaßen im Falsifikationsrausch nur auf T2.
Ein Wissenschaftler kann sich solch eine Vorgehensweise nicht leisten, und ein Wissenschaftstheoretiker sollte sie sich nicht leisten. Damit ergibt sich für beide die Frage: Was ist die Ursache, warum ein Gesetz, das schon einmal zumindest (für die Werte aus T1) gestimmt hat, nun auf einmal nicht mehr stimmt? Hier beginnt die Sache interessant zu werden.
Bevor ich jedoch fortfahre, möchte ich von dir gern wissen, ob du mit dem oben Gesagten übereinstimmst. Es geht mir im Augenblick nur um eine saubere Beschreibung des Sachverhaltes als Basis für weitere Diskussionen, also nicht um igendwelche Folgerungen, die sich aus dem obigen ergeben; ich erwarte auch keine Antwort auf die Frage nach möglichen Ursachen. Deine Antwort kann daher sehr kurz ausfallen: Mit einem einfachen ‚Ja’ (oder ‚Nein’) wäre ich schon zufrieden.

CZ, 1.2.09:
ja, so hatte ich das gemeint.

PJ, 1.2.09:
gut, dann können wir jetzt einen Schritt weitergehen. Für das Schema von heute Morgen ist es gleichgültig, auf welches Gesetz man es bezieht, deswegen konnte ich dir auch dein fiktives Gesetz zugestehen. Also wir haben ein Gesetz und zwei Tabellen; die erste enthält Daten, die mit dem Gesetz vereinbar sind, die zweite enthält Daten, bei denen dies nicht der Fall ist.
Wenn man nun aber die Ursache für die Diskrepanz herausfinden will, dann taugen m.E. fiktive Gesetze nicht, denn mit ihnen kann man auch nur fiktive Ursachen angeben. Aber welchen Erklärungswert haben irgendwelche völlig beliebige Fantasie-Gesetze und -Ursachen? Null würde ich sagen, und glaube ich nicht, dass die Debatten z.B. um das Goodman Paradoxon je zu einem Ergebnis werden.
So etwas liegt natürlich nicht in meinem und wohl auch nicht in deinem Interesse; deshalb wählte ich letztens als Beispiel ein reales Gesetz, nämlich das Fallgesetz von Galilei. Es hat zwei Vorteile: (1) es ist einfach (sagt es doch bloß, dass die Fallstrecke durch das Quadrat der Fallzeiten gegeben ist), und (2) lässt es sich einfach „falsifizieren“, d.h. man kann, ohne philosophische Verrenkungen machen zu müssen, sofort eine physikalisch sinnvolle Tabelle T2 angeben, welche vereinbarungsgemäß Daten enthalten soll, die mit dem obigen Fallgesetz unvereinbar sind. Unter dieser Voraussetzung, denke ich, kann man dann sinnvoll weitere Überlegungen anstellen. Stimmen wir auch in diesem Punkt noch überein?
Wenn du dich lieber erst noch ein bisschen mit dem Galilei Fallgesetz vertraut machen möchtest, könnten wir an dieser Stelle ein paar Tage pausieren. Eigentlich brauchen wir im Augenblick nur das Fallgesetz (Zeile 3 in deinem Link) und das Gesetz
v(t) = g *t (g wie immer die Erdbeschleunigung).
das in deinem Link in der Abbildung versteckt ist. Was unter dem Link sonst noch erklärt wird, halte ich nicht für besonders glücklich; das solltest du einfach weglassen.

CZ, 2.2.09:
wenn man herausfinden will, warum ein bisher zutreffende Prognosen ermöglichendes Gesetz das auf einmal nicht mehr leistet, geht das natürlich nur anhand eines Gesetzes, das früher von der Erfahrung bestätigt wurde. (Zu anderen Zwecken könnte ein erfundenes Gesetz ebenso gut oder sogar besser geeignet sein.)
Also halten wir uns an das Fallgesetz. Ich habe Schwierigkeiten, es zu verstehen. Es scheint die Fallstrecke eines Körpers in Abhängigkeit von der Fallzeit anzugeben. Die Strecke ist danach gleich dem Quadrat der Fallzeit.
Man misst also:
Strecke 1: 2 Meter/Fallzeit:1Sekunde
Strecke 2: (2 m x 2 Sek im Quadrat=)16 Meter/Fallzeit: 2 Sekunden
Strecke 3: (2 m x 3 Sek im Quadrat=)64 Meter/Fallzeit: 3 Sekunden
usw.
Aber wie ich mich kenne, stimmt das trotz längeren Herumrätselns nicht.

PJ, 2.2.09:
ich werde erst Morgen oder Übermorgen zu einer Antwort kommen. Heute nur soviel: Wenn man 0.5*g = 1 setzt, dann ergibt sich folgende Tabelle:



FallzeitFallstrecke




1 s=1*1=1


2 s=2*2=4


3 s=3*3=9


usw.

PJ, 3.2.09:
wie ich inzwischen bemerkt habe, reicht das Fallgesetz
v(t) = g*t,
das die Beziehung zwischen Fallzeit und Fallgeschwindigkeit beschreibt, für unsere Betrachtungen völlig aus.
Eine Tabelle mit Messwerten, welche dieses Gesetz erfüllen, lässt sich leicht finden. Mit g = 9.81 m/s*s könnte sich z.B. folgende Tabelle T1 ergeben haben:



Fallzeit Fallgeschwindigkeit




1s 9.81* 1 m/s = 9.81 m/s


2s 9.81* 2 m/s = 19.62 m/s


3s 9.81* 3 m/s = 29.43 m/s


4s 9.81* 4 m/s = 39.24 m/s


usw.
Es ist klar, dass diese „Messwerte“ genau das obige Gesetz wiedergeben. Nun präsentiert aber jemand folgende Tabelle T2



FallzeitFallgeschwindigkeit




111s 100 m/s


112s 100 m/s


113s 100 m/s


114s 100 m/s


usw.
Die Werte in dieser Tabelle sind mit dem obigen Fallgesetz nicht vereinbar, denn dieses sagt eine ständig wachsende Fallgeschwindigkeit voraus, während in T2 die Fallgeschwindigkeit konstant bleibt. Also ist mit T2 das Fallgesetz falsifiziert? Wir wollen sehen.
Als erstes wird man natürlich den Urheber von T2 fragen, wie er zu seinen Werten gekommen ist. Er könnte antworten: Ich habe untersucht, welche Geschwindigkeiten Fallschirmspringer haben, bevor sie ihren Fallschirm öffnen. Die Werte aus T1 sind offenbar unter anderen Bedingungen zustande gekommen als die aus T2. Erstere beziehen sich auf den freien Fall ohne, letztere auf den mit Reibung. Das erklärt natürlich noch nicht, warum in T2 die Fallgeschwindigkeit konstant bleibt. Genauere Untersuchungen ergeben, dass es für jede Fallsituation eine Grenzgeschwindigkeit gibt, die durch einen fallenden Gegenstand nicht mehr überschritten werden kann. Dass es solch eine Grenzgeschwindigkeit auch für das Medium Luft gibt, erlaubt es den Fallschirmspringern, aus großer Höhe abzuspringen ohne Schaden zu nehmen; sie erreichen (bei geschlossenem Fallschirm) immer nur maximal etwa 100 m/s.
Da man die Zusammenhänge sich am besten bildlich verständlich machen kann, habe ich unter

eine Abbildung zur Verfügung gestellt.
Habe ich mich bis hierher noch verständlich ausgedrückt?

CZ, 4.2.09:
die Abweichungen von T2 gegenüber T1 könnten reproduzierbar mit bestimmten Umständen in Verbindung gebracht werden. Ich nehme an, dass Du das gemeint hast. Das kann ich noch nachvollziehen.

PJ, 4.2.09:
ja so ist es. In Abb. 1 sind drei Bereiche zu erkennen: Bereich 1 ganz vorn; hier wirkt sich die Reibung noch nicht sonderlich aus und die rote und blaue Kurve (letztere zeigt die Daten aus Tabelle 1) liegen noch gut beieinander. Bereich 3, der waagerechte Teil, hier hat die Reibung ihre volle Wirkung entfaltet, und aus diesem Bereich stammen die Messwerte aus Tabelle 2. Dazwischen liegt der nicht betrachtete Übergangsbereich 2.
In der Literatur findet man immer wieder die Floskel: ‚Beobachtungen können Gesetze infragestellen’. Ich habe die Sache herumgedreht und gefragt: wie sieht denn eigentlich ein konkreter Fall aus, bei dem Beobachtungen und Gesetz sich widersprechen und wählte als Beispiel dann das Fallgesetz. Die Tabellen 1 und 2 passen in der Tat nicht zusammen, obwohl sie physikalisch sinnvolle Werte enthalten. Ab hier gehen Wissenschaftstheoretiker und Wissenschaftler getrennte Wege: Erstere halten das Fallgesetz ohne Reibung für falsifiziert, letztere forschen erst einmal nach der Ursache für die Diskrepanz und stellen fest, dass sich die Werte aus Tab 2 auf ein ganz anderes Gesetz beziehen, nämlich auf das Fallgesetz mit Reibung, folglich können diese Werte auch gar nicht das Fallgesetz ohne Reibung falsifizieren. Letzteres bleibt daher weiterhin gültig für alle Situationen, in denen man die Reibung vernachlässigen kann.
Solch eine anfängliche Diskrepanz endet in der Physik immer mit einem Erkenntnisgewinn, z.B. wenn man das Fallgesetz mit Reibung noch nicht kannte und aufgrund der Werte aus Tab. 2 auf dieses Gesetz gestoßen wurde. Von dieser Art sind alle Veränderungen in der Physik, die ich kenne. Dass der Mensch immer mal wieder in neue Erfahrungsbereiche vorstoßen wird, ist sicher; dass daraufhin Korrekturen an der Physik vorgenommen werden müssen, auch; dass es jedoch jemals eine Situation geben wird, die es notwendig machte, die bisherige Physik über den Haufen zu werfen, das glaube ich nicht. Bevor man mich davon überzeugte, müsste man mir verständlich machen, wie solch eine Situation aussehen soll.
Es bleiben noch viele Punkte offen, z.B. könnte man fragen, wie man auf die rote Kurve in Abb. 1 kommt. Es gibt eine einfache Antwort: man hat sie aus der Theorie hergeleitet, aber das klingt eher wie eine Ausflucht. Die einzige saubere Antwort wäre, die Gleichung herzuleiten. Aber das wollen wir doch lieber bleiben lassen, zumal ich fürchte, dass wir die Runde hier schon über Gebühr gelangweilt haben.
Ich weiß nicht, ob ich dir eine befriedigende Antwort geben konnte; vermutlich nicht, aber im Augenblick fällt mir nichts mehr ein.

CZ, 4.2.09:
wie Du schon ahnst, glaube ich nicht, dass damit bewiesen ist, dass das Fallgesetz unter keinen Umständen falsifiziert werden kann. Man hat nur gezeigt, dass eine vermeintliche Falsifizierung bei genauerem Hinsehen gar keine war. Natürlich bin ich für genaues und ergebnisoffenes (in diesem Punkt können wir uns vielleicht nicht einigen) Hinsehen und insofern auf der Seite der Physiker aus dem 2. Absatz Deiner mail.
Von mir aus können wir es dabei lassen. Ich könnte mich wie gesagt nur wiederholen.
Ich muss mich für die Geduld mit meiner mathematischen und physikalischen Ahnungslosigkeit bedanken.

PJ, 5.2.09:
ja, wir sollten an dieser Stelle die Diskussion beenden, was ja nicht heißt, dass man sie nicht wieder aufnehmen könnte, wenn sich neue Aspekte ergeben. Bei mir drohte langsam der Überblick verlorenzugehen; auch das ein Grund zumindest für eine Pause.
Ich muss mich bei dir für deine Hartnäckigkeit bedanken, die mich veranlasste, die Sache einmal aus einem ganz anderen Blickwinkel zu betrachten: aus dem der Machbarkeit. Ich glaube, das hat bisher noch niemand getan: In der gesamten mir bekannten einschlägigen Literatur wird immer ganz selbstverständlich davon ausgegegangen, dass es eine Situation gäbe, welche die Aufgabe eines Gesetzes erzwinge. Hier habe ich aber inzwischen meine Zweifel.

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