Wie kann ich wissen, ob andere etwas empfinden, wenn ich ihre Empfindungen nicht unmittelbar teile und nur Äußerungen davon sehe?

I Wie sind Aussagen über Empfindungen anderer nicht zu verstehen?

Wenn man das Problem verallgemeinert, lautet es: das und das ist nicht möglich. Das verstehe ich nur, wenn ich weiß, was genau nicht möglich sein soll. Ich brauche also die Beschreibung eines Falls, der ruhig frei erfunden sein darf, in dem ich sagen würde, daß ich die Empfindungen eines anderen unmittelbar teile.

Nehmen wir an, nicht nur Person A, sondern auch Person B spürt es, wenn A gekniffen wird.

Wir könnten dann sagen, daß B die Empfindungen von A unmittelbar teilt.

Wir könnten auch, besonders bei Hinzutreten weiterer Umstände, sagen, daß es sich um eine einzige Person mit zwei verschiedenen Körpern zu handeln scheint.

Oder wir könnten sagen, daß beide zwar Ähnliches zu empfinden scheinen, A’s Empfindungen aber natürlich immer noch A’s Empfindungen und B’s Empfindungen B’s Empfindungen sind. Wenn von vornherein feststünde, daß man das unter allen Umständen sagen würde - und gerade das unterscheidet ein philosophisches Prinzip ja von einer Tatsachenbehauptung - dann wäre nicht klar, was eigentlich nicht möglich sein soll.

II Wie sind Aussagen über Empfindungen anderer zu verstehen?

Wie lernen wir sie denn?

Etwa so:

"Die Anja und der Gustav und der Martin sind Menschen." (mit allem, was dazu gehört)

"Der Tobi auch?"

"Nein, der ist ein Wauwau."

"Der Papa auch?"

".....ja, der auch. "

Die Frage, ob das auch wirklich stimmt, hat dann so wenig Sinn wie die, ob das Urmeter auch wirklich 1 Meter lang ist. Es handelt sich nicht um eine Behauptung, sondern um eine Definition. (Geschrieben unter dem nachwirkenden Einfluss von Wittgensteins Sprachanalysen, ohne daß ich jetzt eine konkrete Quelle angeben könnte.) Diese Begriffsbildungen sind wahrscheinlich nicht willkürlich, sondern folgen den Instinkten, mit denen alle Tiere zwischen Artgenossen und Anderen unterscheiden. Später können wie immer Abgrenzungsfragen auftreten, etwa im Zusammenhang mit "künstlicher Intelligenz".

Ebenso lernen wir, was es bedeutet, zu sagen, daß jemand Schmerzen habe oder sich freue.

III Man könnte den Satz aber auch mit der Tatsache in Verbindung bringen, daß wir zu einem Teil der Welt - unserem Körper - ein anderes Verhältnis haben als zu anderen Objekten, gekennzeichnet durch Berührungsempfindlichkeit und die Möglichkeit willkürlicher Bewegung.

Wobei letztere nicht als "Bewegung durch den Willen" zu verstehen ist, denn wir unterscheiden bei Körperbewegungen, von Ausnahmesituationen abgesehen, nicht zwischen Wollen und Tun.

Was die Bewegung des eigenen Körpers von der anderer Objekte, etwa durch eine Fernsteuerung, unterscheidet, ist, daß ich im zweiten Fall durchaus das eine wollen und das andere tun kann (aus Versehen oder weil die Fernsteuerung nicht funktioniert).

Es wäre theoretisch denkbar, daß ich dieses Verhältnis nicht nur zu einem kleinen Teil der Welt, sondern zu einem größeren oder auch zur ganzen Welt hätte. Ein möglicher Sinn der Aussage, daß ich die Empfindungen anderer nicht unmittelbar teile, könnte also sein, daß ich ein derartiges Verhältnis zur Welt nicht habe, sondern quasi nur eine kleine Parzelle bewirtschafte. Wenn ich ein derartiges Verhältnis zur ganzen Welt hätte, würde ich allerdings nicht im gleichen Sinn von anderen reden wie ich das jetzt tue, denn es gäbe dann keine Parzellenbewirtschafter. Ein möglicher Sinn der Aussage wäre aber, daß man erfahrungsgemäß nicht an zwei oder drei Orten gleichzeitig anwesend sein kann. Man könnte darin auch eine sprachlich nicht ganz gelungene Umschreibung des Tatbestands der Individuation, der Vielzahl der Gestalten und Lebensgeschichten sehen.

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