Den Gedanken, dass sicher nur ist, dass ich existiere und alles andere meine Hirngespinste sein könnten, bezeichnet Schopenhauer als „kleine Gränzfestung (und zwar des Skeptizismus, meint Schopenhauer, C.Z.), die zwar auf immer unbezwinglich ist, deren Besatzung aber durchaus auch nie aus ihr herauskann, daher man an ihr vorbeigehen und ohne Gefahr sie im Rücken liegenlassen darf."1
Ich möchte versuchen, diesen Gedanken zumindest teilweise – das darin enthaltene „ich existiere“ - in folgenden drei Schritten etwas zu untergraben:
Die Frage, ob eine bestimmte Tierart ausgestorben ist oder nicht, wird dadurch entschieden, ob es möglich
ist, ein Exemplar zu präsentieren. Die positive Existenzbehauptung wird so bewiesen, die
negative bleibt eine Hypothese, denn es könnte ja immerhin noch gelingen, ein Exemplar zu
finden.
Wenn man eine Aussage über die Existenz von Säbelzahntigern macht, geht es dabei nicht um
Säbelzahntiger und ihre Eigenschaften, sondern darum, ob dem Begriff „Säbelzahntiger“ etwas entspricht
oder nicht.
„Das siehst du doch“ ist natürlich für einen Philosophen keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage „gibt es das denn wirklich, kann ich denn meinen Augen trauen?“ Aber so wird die Frage „gibt es so etwas?“ beantwortet.
Bei "dies" ist offensichtlich, dass es einem bestimmten Gegenstand "angeheftet"
werden muss oder dass man auf einen Gegenstand zeigen muss, um es sinnvoll zu
verwenden.3
Bei "ich" ist das nicht so offensichtlich. Ist es nicht egal, ob ich sage "ich gehe jetzt einkaufen" oder "C.Z.
geht jetzt einkaufen"?
In der Praxis macht es keinen Unterschied. Wenn ich mir aber vorstelle, dass sich mein Aussehen
mit einem Schlag völlig verändert einschliesslich der Merkmale, anhand deren vor Gericht
meine Identität bestimmt wird (Fingerabdrücke, genetische Merkmale usw.), dass mir also
etwas ähnliches zustösst wie Gregor Samsa in der "Verwandlung", dann wird deutlich, dass die
beiden Sätze nicht den gleichen Inhalt haben, sondern nur aufgrund bestimmter tatsächlicher
Gegebenheiten in der Praxis austauschbar sind. Nur weil diese Gegebenheiten so sind, wie
sie sind, fällt der Bedeutungsunterschied zwischen "ich" und - in meinem Fall - "C.Z." nicht
auf.
Das Beispiel zeigt, dass "ich" etwa bedeutet "der, der das jetzt sagt", wobei man unter den
beschriebenen Umständen hinzufügen könnte "gleichgültig, wie er aussieht". Statt des verbalen
Ausdrucks könnte ich auch die Hand heben, um die Person, die jetzt einkaufen geht zu
bezeichnen4
und das ist einem Markieren, Anheften oder Zeigen ähnlich.
Wenn ich gefragt werde "wer ist da?" und mit verstellter Stimme "ich" antworte ist das genau so informativ, wie wenn ich auf die Frage, wo ein bestimmter Gegenstand geblieben ist, "hier" antworte, ohne dabei auf einen Ort zu zeigen.
Der Satz "ich existiere" kann also anscheinend deshalb nicht widerlegt werden, weil nicht zu widerlegen ist, dass ich auf das zeigen kann, auf das ich gerade zeige. Was aber natürlich nicht heisst, dass es irgendeinen Sinn ergibt, das zu sagen.
Könnte die solipsistische Position auch so formuliert werden: "C.Z. existiert und sonst vielleicht nichts
und niemand"?
Ich meine nein, denn es könnte sich herausstellen, dass ich ein ähnliches Schicksal wie Kaspar
Hauser habe und gar nicht C.Z. heisse. Und von der Existenz anderer Personen kann ich mich
durch Augenschein und Dokumente überzeugen. Beides würde einen Solipsisten in keiner Weise
beeindrucken.
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Aber kann man nicht doch in bestimmten Situationen sinnvoll "ich existiere", "das da gibt es nicht" oder Ähnliches sagen? Die folgenden Einwände wurden von meinem Listenkollegen Stefan Kober in der mailingliste philweb5 gemacht.
Hier kommt es nicht darauf an, was der Gefragte sagt, sondern nur darauf, dass er etwas sagt, ein Lebenszeichen von sich gibt; er hätte genau so gut "nein" sagen können. Während es dem Solipsisten natürlich auf den Inhalt seiner Aussage ankommt. Auch wenn beide Aussagen ähnlich klingen, ist nicht das gleiche gemeint.
Hier wird "ich" nicht in Verbindung mit einem Zeigen auf eine Person verwandt, denn es ergibt keinen Sinn, zu sagen, man zeige auf jemanden, der nicht gegenwärtig sei. Es ist nicht die Rede von einer erst durch das Zeigen bestimmten Person, sondern - in meinem Fall - von der nach ihrem Aussehen usw. bestimmten, amtlich registrierten Person C.Z., die es dann natürlich geben kann oder nicht. "Ich" wird in den beiden Beispielen so verwandt wie sonst der Personenname.
Solange die weissen Mäuse beängstigend real erscheinen und ich gegen die Halluzination ankämpfe, werde ich
tatsächlich zu einer Formulierung wie der obigen neigen. Damit möchte ich mir aber klar machen, dass da
gar keine weissen Mäuse sind. Ich zeige also nicht auf weisse Mäuse und sage im gleichen Atemzug, dass es
diese weissen Mäuse nicht gibt, sondern sage mir: was da zu krabbeln und quieken scheint, sind gar keine
weissen Mäuse, ich spinne nur.
Die Formulierung entspricht dem Schwanken zwischen Halluzination und Normalzustand, zeigt aber nicht,
dass man sinnvoll auf etwas zeigen und diesem die Existenz absprechen kann.
Analog zum "dies, was ich dir hier zeige, gibt es nicht" und entsprechend sinnlos wäre dagegen folgendes:
ich erzähle jemandem, wie ich im Traum einen Apfel gegessen habe und sage anschliessend: von diesem
Apfel habe ich nicht geträumt.
Es kann eine Art Sinn haben, zu sagen "ich existiere" oder "das da gibt es nicht", aber keinen, der für den Gedanken, über den sich Schopenhauer so ärgert, etwas hergibt.
Sicher gäbe es dazu noch einiges zu sagen. Tun Sie’s ruhig und schreiben Sie mir.