1 .

In bestimmten Fällen sind wir uns alle einig, dass von Willensfreiheit nicht die Rede sein kann, z.B. bei Personen, die unter Hypnose stehen. Sie können nicht anders als den Suggestionen des Hypnotiseurs folgen und würden allenfalls für die Abgabe der Kontrolle verantwortlich gemacht, für ihre Handlungen - wenn man das noch so nennen kann - aber ebenso wenig wie die Faust für einen Schlag.

Das auch-anders-können erscheint als das Wesentliche an der Willensfreiheit. Hätte der Wanderer an der Weggabelung auch den anderen Weg einschlagen können? Die Antwort auf diese Frage trennt zwei philosophische Lager.

Merkwürdig ist allerdings, dass einem niemand sagen kann, wie man denn feststellen kann, ob der Wanderer das hätte tun können. Dieser Fall ist von dem zu unterscheiden, dass man es zwar nicht feststellen kann, aber weiss, was zu tun wäre, um es festzustellen. Wenn man nicht feststellen kann, ob es Marsmenschen gibt, kann das daran liegen, dass man nicht zum Mars fliegen und nachsehen kann oder daran, dass einem nicht klar ist, was genau unter Marsmenschen zu verstehen ist, wonach man also suchen sollte. Hier haben wir es wohl eher mit dem zweiten Fall zu tun.
Sokrates kann zwar in den platonischen Dialogen auch keine Gebrauchsanweisung für den Begriff des Guten geben, aber immerhin Beispiele zweifelsfrei guten Handelns, denen jeder zustimmt. Es ist aber nicht möglich, einen Deterministen durch ein Beispiel von der Freiheit menschlichen Handelns oder einen Voluntaristen durch ein Beispiel von der Unfreiheit menschlichen Handelns zu überzeugen.
Die Unaufklärbarkeit der Frage scheint also durch die Leere und Unbestimmtheit des Begriffs bedingt zu sein.

Bezieht man das auch-anders-können dagegen nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft, lässt sich sehr leicht feststellen, ob jemand in diesem Sinn frei ist oder nicht.

Wer behauptet, an der Weggabelung beide Richtungen einschlagen zu können, kann das ja beweisen (was natürlich keinen Deterministen oder Voluntaristen beeindrucken würde) - und wird es nicht können, wenn er unter Hypnose steht und der Hypnotiseur ihn daran hindert. Allerdings bedeutet das ”anders“ dann nicht mehr ”anders als man tatsächlich gehandelt hat“, sondern ”so oder anders, nach rechts oder nach links“ und bekommt damit erst einen Sinn.
Willensfreiheit erscheint jetzt als die Fähigkeit, seine eigenen Handlungen vorherzusagen oder sich selbst Befehle zu geben und diese dann auszuführen (= Fähigkeit zur Selbstbestimmung).
Letzteres können wir deshalb, weil wir gelernt haben, was Befehle oder Bitten sind.

Es ist allerdings die Frage, ob es einen so wesentlichen Unterschied macht, ob man z.B. laut oder in Gedanken quasi zwanghaft vor sich hinsagt ”ich stehe jetzt auf, gehe zur Tür und öffne sie“ - oder ob man das einfach tut. Dafür, ob wir jemanden für eine Handlung verantwortlich machen, ist das nicht entscheidend. So gesehen erscheint die ”Selbstbestimmung“ als unter Umständen skurrile Variante des ursprünglich erlernten ”Sprachspiels“1.

Wenn sich dagegen jemand etwas vornimmt oder zu etwas zwingt, wäre es nicht übertrieben, von Selbstbestimmung zu reden. Und dass man das kann, hängt damit zusammen, dass man gelernt hat, was Fremdbestimmung ist. Die Möglichkeit der Tyrannei ist der Preis der Willensfreiheit.

2 .

Wie stellt man es an, sich selbst einen Befehl zu geben? Man muss sich natürlich nicht selbst mitteilen, was man tun will so wie jemand anderer einem mitteilen würde, was man tun soll. Hier endet also die Parallele zwischen Fremd- und Selbstbestimmung. Vielleicht sagt man sich aber so etwas wie ”los jetzt!”? Oft unterscheiden wir aber gar nicht zwischen Wollen und Tun, einem inneren Befehl und dessen äusserer Ausführung. Es kann zwar vorkommen, dass eine Handlung oder ihr Erfolg nicht der Absicht entspricht, der Pfeil z.B. nicht die Zielscheibe trifft. Wenn dagegen jemand sagen würde, er wolle den Arm heben, könne es aber nicht, sei aber nicht etwa gelähmt, gefesselt oder sonst irgendwie behindert, würden wir das nicht verstehen. Das gleiche gilt umgekehrt, wenn sich sein Arm gehoben hat und er das, ohne in irgendeiner Ausnahmesituation gewesen zu sein, nicht gewollt haben will. Es findet kein Indizienschluss vom Wollen auf das Tun oder umgekehrt statt, sondern es handelt sich um zwei grundsätzlich gleichwertige Möglichkeiten, das gleiche mit verschiedenen Worten auszudrücken. Es würde nur seltsam klingen, zu sagen ”er wollte den Arm heben und befand sich nicht in einer Ausnahmesituation” statt ”er hob den Arm”.
Ich kann weder mit den Ohren wackeln, noch es in dem Sinn wollen, in dem ich z.B. den Arm haben will - bei dem also das Wollen nicht vor der Handlung stehenbleiben darf2 und man sich von der Handlung, abgesehen von Ausnahmesituationen, nicht als ungewollt distanzieren kann3 - sondern mir allenfalls wünschen, ich könnte es, falls mir z.B. Geld dafür geboten wird. Man kann hier zwar auch von Wollen reden, dann aber in einem anderen Sinn, als wenn es um Armbewegungen geht. Wenn jemand einen Schlaganfall hat und sich nicht mehr bewegen kann, muss man dann nicht sagen, er wolle es nach wie vor, könne es nur nicht mehr? Das kann man, muss es aber nicht so ausdrücken. Es gibt hier keine eindeutige Sprachregelung und auch keinen Regelungs- oder Klärungsbedarf ausserhalb von philosophischen Diskussionen.

3 .

Der Sinn des Befehlens, falls es sich nicht um eine blosse Machtdemonstration handelt, ist die Unterordnung der einzelnen Handlung unter einen Plan. Man tut nicht mehr, wonach einem gerade ist, sondern was im Hinblick auf ein bestimmtes Ziel sinnvoll ist. Bei der primitiven Sprache, die Wittgenstein in der zweiten Bemerkung der Philosophischen Untersuchungen beschreibt, ist dieses Ziel die Errichtung eines Gebäudes, bei der Strassenverkehrsordnung geht es um sichere Verhältnisse auf den Strassen.
Das ist es, was man lernt, wenn man lernt, Befehle zu befolgen. Und dann fängt man an, seine eigenen Pläne zu machen, unter der Voraussetzung der Berechenbarkeit der Welt.

Was verstehen wir also unter Willensfreiheit? Vielleicht die Fähigkeit, die eigenen Handlungen zum Mittel eigener Zwecke zu machen?

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