In bestimmten Fällen sind wir uns alle einig, dass von Willensfreiheit nicht die Rede sein kann, z.B. bei Personen, die unter Hypnose stehen. Sie können nicht anders als den Suggestionen des Hypnotiseurs folgen und würden allenfalls für die Abgabe der Kontrolle verantwortlich gemacht, für ihre Handlungen - wenn man das noch so nennen kann - aber ebenso wenig wie die Faust für einen Schlag.
Das auch-anders-können erscheint als das Wesentliche an der Willensfreiheit. Hätte der Wanderer an der Weggabelung auch den anderen Weg einschlagen können? Die Antwort auf diese Frage trennt zwei philosophische Lager.
Merkwürdig ist allerdings, dass einem niemand sagen kann, wie man denn
feststellen kann, ob der Wanderer das hätte tun können. Dieser Fall ist von dem zu
unterscheiden, dass man es zwar nicht feststellen kann, aber weiss, was zu tun wäre,
um es festzustellen. Wenn man nicht feststellen kann, ob es Marsmenschen gibt, kann
das daran liegen, dass man nicht zum Mars fliegen und nachsehen kann oder daran,
dass einem nicht klar ist, was genau unter Marsmenschen zu verstehen ist, wonach
man also suchen sollte. Hier haben wir es wohl eher mit dem zweiten Fall zu
tun.
Sokrates kann zwar in den platonischen Dialogen auch keine Gebrauchsanweisung für
den Begriff des Guten geben, aber immerhin Beispiele zweifelsfrei guten Handelns,
denen jeder zustimmt. Es ist aber nicht möglich, einen Deterministen durch ein
Beispiel von der Freiheit menschlichen Handelns oder einen Voluntaristen durch ein
Beispiel von der Unfreiheit menschlichen Handelns zu überzeugen.
Die Unaufklärbarkeit der Frage scheint also durch die Leere und Unbestimmtheit des
Begriffs bedingt zu sein.
Bezieht man das auch-anders-können dagegen nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft, lässt sich sehr leicht feststellen, ob jemand in diesem Sinn frei ist oder nicht.
Wer behauptet, an der Weggabelung beide Richtungen einschlagen zu können, kann
das ja beweisen (was natürlich keinen Deterministen oder Voluntaristen
beeindrucken würde) - und wird es nicht können, wenn er unter Hypnose steht
und der Hypnotiseur ihn daran hindert. Allerdings bedeutet das ”anders“
dann nicht mehr ”anders als man tatsächlich gehandelt hat“, sondern ”so
oder anders, nach rechts oder nach links“ und bekommt damit erst einen
Sinn.
Willensfreiheit erscheint jetzt als die Fähigkeit, seine eigenen Handlungen
vorherzusagen oder sich selbst Befehle zu geben und diese dann auszuführen (=
Fähigkeit zur Selbstbestimmung).
Letzteres können wir deshalb, weil wir gelernt haben, was Befehle oder Bitten
sind.
Es ist allerdings die Frage, ob es einen so wesentlichen Unterschied macht, ob man z.B. laut oder in Gedanken quasi zwanghaft vor sich hinsagt ”ich stehe jetzt auf, gehe zur Tür und öffne sie“ - oder ob man das einfach tut. Dafür, ob wir jemanden für eine Handlung verantwortlich machen, ist das nicht entscheidend. So gesehen erscheint die ”Selbstbestimmung“ als unter Umständen skurrile Variante des ursprünglich erlernten ”Sprachspiels“1.
Wenn sich dagegen jemand etwas vornimmt oder zu etwas zwingt, wäre es nicht übertrieben, von Selbstbestimmung zu reden. Und dass man das kann, hängt damit zusammen, dass man gelernt hat, was Fremdbestimmung ist. Die Möglichkeit der Tyrannei ist der Preis der Willensfreiheit.
Wie stellt man es an, sich selbst einen Befehl zu geben? Man muss sich natürlich
nicht selbst mitteilen, was man tun will so wie jemand anderer einem mitteilen
würde, was man tun soll. Hier endet also die Parallele zwischen Fremd- und
Selbstbestimmung. Vielleicht sagt man sich aber so etwas wie ”los jetzt!”? Oft
unterscheiden wir aber gar nicht zwischen Wollen und Tun, einem inneren Befehl und
dessen äusserer Ausführung. Es kann zwar vorkommen, dass eine Handlung oder
ihr Erfolg nicht der Absicht entspricht, der Pfeil z.B. nicht die Zielscheibe
trifft. Wenn dagegen jemand sagen würde, er wolle den Arm heben, könne
es aber nicht, sei aber nicht etwa gelähmt, gefesselt oder sonst irgendwie
behindert, würden wir das nicht verstehen. Das gleiche gilt umgekehrt, wenn sich
sein Arm gehoben hat und er das, ohne in irgendeiner Ausnahmesituation
gewesen zu sein, nicht gewollt haben will. Es findet kein Indizienschluss vom
Wollen auf das Tun oder umgekehrt statt, sondern es handelt sich um zwei
grundsätzlich gleichwertige Möglichkeiten, das gleiche mit verschiedenen Worten
auszudrücken. Es würde nur seltsam klingen, zu sagen ”er wollte den Arm
heben und befand sich nicht in einer Ausnahmesituation” statt ”er hob den
Arm”.
Ich kann weder mit den Ohren wackeln, noch es in dem Sinn wollen, in dem ich z.B.
den Arm haben will - bei dem also das Wollen nicht vor der Handlung stehenbleiben
darf2 und man
sich von der Handlung, abgesehen von Ausnahmesituationen, nicht als ungewollt distanzieren
kann3
- sondern mir allenfalls wünschen, ich könnte es, falls mir z.B. Geld dafür
geboten wird. Man kann hier zwar auch von Wollen reden, dann aber in einem
anderen Sinn, als wenn es um Armbewegungen geht. Wenn jemand einen
Schlaganfall hat und sich nicht mehr bewegen kann, muss man dann nicht sagen, er
wolle es nach wie vor, könne es nur nicht mehr? Das kann man, muss es
aber nicht so ausdrücken. Es gibt hier keine eindeutige Sprachregelung und
auch keinen Regelungs- oder Klärungsbedarf ausserhalb von philosophischen
Diskussionen.
Der Sinn des Befehlens, falls es sich nicht um eine blosse Machtdemonstration
handelt, ist die Unterordnung der einzelnen Handlung unter einen Plan. Man tut
nicht mehr, wonach einem gerade ist, sondern was im Hinblick auf ein bestimmtes
Ziel sinnvoll ist. Bei der primitiven Sprache, die Wittgenstein in der zweiten
Bemerkung der Philosophischen Untersuchungen beschreibt, ist dieses Ziel die
Errichtung eines Gebäudes, bei der Strassenverkehrsordnung geht es um sichere
Verhältnisse auf den Strassen.
Das ist es, was man lernt, wenn man lernt, Befehle zu befolgen. Und dann fängt man
an, seine eigenen Pläne zu machen, unter der Voraussetzung der Berechenbarkeit der Welt.
Was verstehen wir also unter Willensfreiheit? Vielleicht die Fähigkeit, die eigenen Handlungen zum Mittel eigener Zwecke zu machen?
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