... fragt Wittgenstein in der zweiten Bemerkung des Teils V der Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik und fährt fort:

"Denk dir, eine Rechenmaschine wäre durch Zufall entstanden; nun drückt Einer aus Zufall auf ihre Knöpfe (oder ein Tier läuft über sie) und sie rechnet das Produkt 25 x 20."

Besteht Rechnen im Ablauf eines Mechanismus, wenn er von jeder kulturellen Einbettung isoliert ist, oder einer elektrischen Entsprechung dazu?

Natürlich nicht, möchte man sagen, deshalb kommt das Tier ins Spiel.

Warum "natürlich"? Weil es wesentlich für eine Rechnung ist, daß sie richtig oder falsch sein kann, während man wohl kaum auf die Idee käme, einem Naturvorgang einen Fehler anzukreiden. Dabei kommt es auf die Einhaltung von Standards an - etwa über die Zahlenreihe - die eine Verständigung über quantitative Verhältnisse erst ermöglichen. In der Kunst wird zwar in einem etwas anderen Sinn auch zwischen richtig und falsch unterschieden - etwa zwischen richtigen und falschen Tönen - aber der Unterschied erschließt sich entweder unmittelbar oder gar nicht und nicht durch Zurückführung auf einen Standard.1 Eine theoretisch vorstellbare intuitive Mathematik (“Pfingstwunder”) wäre mehr Kunst als Wissenschaft, wenn es in der Wissenschaft auf Beweise ankommen soll.

Um festzustellen, ob das Tier rechnet, müsste man also untersuchen, ob es sich mit seinesgleichen durch Klopfen oder Nicken oder wie auch immer über quantitative Verhältnisse verständigt, ob die Eltern das dem Nachwuchs beibringen und Fehler als solche behandeln oder ob es in Schulen gelehrt wird.

Um die Frage "wie viel?" geht es bei "künstlicher Intelligenz" nach meinem Informationsstand weniger. Ein Schwerpunkt ist wohl das Erkennen von Gegenständen, für deren Einordnung es entweder nur vage oder gar keine Kriterien gibt. Nichts besonderes in der Menschenwelt, aber etwas ganz anderes als das Ausführen genau vorgegebener Operationen unter genau vorgegebenen Bedingungen.

Daß wir Gegenstände erkennen können, ohne sagen zu können, woran und warum, ist erstaunlich und auf den ersten Blick schwer zu glauben. Wenn wir es aber nicht könnten, könnten und müssten wir bei jeder Erklärung "ich erkenne diesen Gegenstand an diesem Merkmal" weiterfragen: und woran erkennst du dieses Merkmal? Nur wenn diese Frage irgendwann nicht mehr gestellt wird - z. B. bei "blau", "salzig", "oben", "schön", "Melodie" oder, genauer: beim Erkennen der Beispiele und Muster, mit denen diese Begriffe erklärt werden - ist ein Ende der Fragen und ein (unbegründetes und nicht begründungsbedürftiges) Urteil möglich.2Und da das für alle Urteile gilt, sind sie letztlich alle grundlos.3 Aber nur letztlich, es ist natürlich völlig legitim, nach der Zurückführung eines nicht einleuchtenden Satzes auf einen einleuchtenden zu fragen.

Und die gleichen Fähigkeiten muss man auch von einer programmierten Maschine verlangen, wenn man ihr menschenähnliches Urteilsvermögen nachsagen soll. Sie muss ohne Willkür und ohne Regel Muster erkennen können und sich als Naturtalent herausstellen. Damit könnte sie auch erst rechnen und zählen lernen, denn es wird anhand von Gegenständen demonstriert und bezieht sich auf Gegenstände. Wenn sie dagegen einen Witz nur aufgrund der Reaktion anderer Menschen erkennen könnte, wäre die Trefferquote zwar möglicherweise relativ hoch, es hätte mit Sinn für Humor aber wenig zu tun.

Aber ist es nicht vielleicht übertrieben, im Zusammenhang mit der Farbwahrnehmung von "Feststellen" oder "Erkennen" zu reden? Könnten wir sie nicht als Mechanismus oder Reflex oder Reiz-Reaktions-Schema auffassen und derartige Zuschreibungen hier so unpassend finden wie beim Hochschnellen des Knies, wenn es vom Arzt mit einem Hämmerchen beklopft wird?

Wir halten uns bei einer Aussage über die Farbe eines Gegenstands durchaus an eine Regel, der zufolge die Aussage zutrifft, wenn die Farbe des Gegenstands mit der eines Musters übereinstimmt. Die Bedeutung eines Zeichens, hier des Farbnamens, das wir nicht ohne Erklärung verstehen, muss eben vereinbart werden (notfalls "mit Händen und Füßen") und seine Anwendung hat dann die Form einer Subsumtion (zumindest so lange, bis sie uns in Fleisch und Blut übergeht und der Zwischenschritt nicht mehr nötig ist).

Richtig ist aber, daß man einem Kind diese Subsumtion nur beibringen kann, wenn es Gegenstände schon nach der Farbe unterscheiden kann, bevor es sprechen lernt. Man sollte dabei aber nicht von "Feststellen" reden, wenn man damit einen Satz wie "das ist ein..., denn..." meint.

Wo noch keine Kriterien vorhanden sind, können natürlich auch keine angelegt werden. Ohne Schubladen keine Schubladisierung, sondern allenfalls eine Verknüpfung mit Erinnerungen oder Assoziationen.

Wenn wir die Wahrnehmung kausal erklären wollen, reden wir von ihrer Vorgeschichte, nicht von der Wahrnehmung selbst. Eine "Erklärung als..." wie etwa die oben versuchte Erklärung simpler Rechenoperationen wäre das gerade nicht. Wir erfahren dadurch zwar, wie etwas zustande kommt, aber nicht, worum es sich handelt.

Die Sache selbst lässt sich gar nicht erklären oder beschreiben - denn das liefe auf die Formulierung eines Obersatzes einer Subsumtion, also angewandten Definition, oder die Einführung eines anschaulichen Masstabs hinaus, der eine vergleichbare Rolle spielt - sondern ist die unverzichtbare Voraussetzung dafür, daß später überhaupt etwas erklärt werden kann. Man kann aber jedenfalls negativ darüber sagen, daß sie nicht z.B. mit dem Sortieren von Gegenständen nach der Farbe zusammenfällt, sondern daß es reicht, mit offenen Augen still dazusitzen. Das wäre etwa die nicht pleonastische Hälfte des halb pleonastischen Satzes "Wahrnehmen ist nicht Sortieren, sondern Wahrnehmen". Oder wollen wir annehmen, daß das Leben in körperlichen Bewegungen und sonst nichts besteht?

Auf diesem Strom schwimmt das Schiffchen unserer Sprache.

In der umgekehrt die Bedeutung eines Worts bei noch so gründlicher Betrachtung nicht erlebt werden kann, sondern erklärt werden muss (ausser im theoretischen Fall des Pfingstwunders, bei dem aus künstlichen Zeichen natürliche werden).

Für das Wort "Wahrnehmen" brauchen wir also wie für jedes andere auch eine verbale oder anschauliche Erklärung und wie immer lebt sie von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann, um den Verfassungsrichter Böckenförde zu paraphrasieren. Zu sagen, wir könnten niemals wissen, ob ein anderer etwas wahrnimmt, weil wir seine Wahrnehmungen nicht unmittelbar teilen könnten, würde bedeuten, daß wir nicht wissen, wovon wir reden falls wir so etwas nicht einmal fiktiv beschreiben können, so daß klar wäre, was wir ausschließen. (s.o.)

Das Wahrnehmungsvermögen wird etwa anhand von Seh- oder Hörtests beurteilt. Wir schreiben Wahrnehmungen Menschen und Tieren zu und Maschinen würden wir sie wohl in dem Maß zuschreiben, in dem sie Menschen oder Tieren ähneln. Sie müssten also z. B. nicht nur dann lachen oder "lachen", wenn es Menschen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit tun, sondern spontan und von sich aus wie Babys.

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